Man darf ja nichts sagen, sonst ist man gleich ein Antisemit.

»Man darf ja nichts sagen, sonst ist man gleich ein Antisemit.«

Es ist eine beliebte rhetorische Figur, sich als Opfer und kritischen Geist zu gerieren, dem das Wort verboten werden soll. Aber es ist eben nur ein Trick. Zum Beispiel, wenn es um Israel geht: Die Ansicht, man könne Israel nicht kritisieren, ohne als Antisemit bezeichnet zu werden, ist schlichtweg falsch. Israel wird oft und viel kritisiert, in Tageszeitungen, am Stammtisch, in der Universität, im Internet. In Anbetracht der Regelmäßigkeit, mit der Kritik an der israelischen Politik geäußert wird, kann von einem Tabubruch nicht gesprochen werden.

In vielen Fällen handelt es sich ohnehin nicht um Kritik, sondern um den Versuch, Israel zu diffamieren. Der Schuldige steht von Anfang an fest. Und es ist genau diese Unterscheidung zwischen Kritik und Antisemitismus, die maßgeblich ist. Wenn es einem also darum geht, Israel einseitig als Bedrohung und Aggressor darzustellen, unabhängig vom realen Geschehen, wenn man möchte, dass der Staat Israel abgeschafft werden soll, weil er keine Daseinsberechtigung habe, dann ist die Motivation wahrscheinlich antisemitisch.

Jetzt mal in Ruhe…

Die Frage, wann Äußerungen zum Nahost-Konflikt oder zu Israel antisemitisch sind oder nicht, wird in regelmäßig wiederkehrenden Debatten häufig und oft verbissen diskutiert. Dabei taucht immer wieder die Position auf, dass Kritik an Israel nicht per se antisemitisch sei. Israel müsse man doch kritisieren dürfen, wird im selben Atemzug geäußert. Aber schon der Begriff »Israelkritik« verrät einiges darüber, welche Motivation dahinter steckt: Es geht nicht um eine sachliche Kritik der Politik dieser oder jener israelischen Regierung, die nahezu jede israelische Zeitung täglich schafft, ohne antisemitisch zu sein. Sondern es geht um eine Pauschalkritik des jüdischen Staates als Ganzes – wegen seiner bloßen Existenz. Und das ist problematisch 1.

Noch problematischer ist der Satz, »Man darf ja nichts sagen, sonst ist man gleich Antisemit«, wenn diese »Kritik« sich direkt gegen »die Juden« richtet. So werden Jüdinnen*Juden als homogene Masse imaginiert, bei der eine flächendeckende »Kritik« angebracht sei. Und das funktioniert nur, wenn man »die Juden« mit tradierten Stereotypen belegt – was antisemitisch ist. Man wolle kein Antisemit sein, sondern nur gegen die »finsteren Mächte« wettern, die die Weltgeschicke steuern – ob Rothschilds, Soros oder der »jüdische Hollywood-Klüngel«.

Ein imaginiertes Sprechverbot ist übrigens keine Besonderheit von Antisemitismus. »Man wird das ja wohl noch sagen dürfen« ist seit eh und je ein geflügeltes Wort der radikalen Rechten. Oft folgen dann auch rassistische oder antifeministische Aussagen. Es geht um »Rebellion« gegen eine vermeintliche »politische Korrektheit«. Um Vorurteile. Aber es gibt zu Recht Tabus. Und manche Sprüche sind in der Tat antisemitisch – ob der oder die Sprecher*in das so sieht oder nicht.

  1. Gorelik, L. (2014): »Man wird doch noch mal sagen dürfen…«: Antisemitismus in Hoch- und Populärkultur. Bundeszentrale für politische Bildung. URL: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/187410/man-wird-doch-noch-mal-sagen-duerfen/

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